E-Health

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Digitalisierung patientenorientiert ausgestalten: Sieben Impulse für eine deutsche E-Health-Strategie

Im Koalitionsvertrag haben sich die Ampel-Parteien auf eine „regelmäßig fortgeschriebene Digitalisierungsstrategie im Gesundheitswesen und in der Pflege“ geeinigt, mit der ein besonderer „Fokus auf die Lösung von Versorgungsproblemen und die Perspektive der Nutzer*innen“ gelegt werden soll.

Nach vielen Jahren des Stillstands und der gegenseitigen Blockadehaltung wurden in den vergangenen vier Jahren zweifellos ganz wesentliche Meilensteine für die weitere Digitalisierung der deutschen Gesundheitsversorgung auf den Weg gebracht – dazu gehören u.a. die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA), des elektronischen Rezepts und digitaler, erstattungsfähiger Gesundheitsanwendungen (DiGa). Diese Entwicklungen jedoch können lediglich ein Anfang sein. Obwohl die BürgerInnen in Deutschland E-Health-Anwendungen mehrheitlich positiv und aufgeschlossen gegenüberstehen, kommen viele digitale Versorgungslösungen und -leistungen nicht in der Breite der Gesellschaft an. Die Gründe hierfür sind vielfältig und müssen in der angekündigten Digitalisierungsstrategie konkret adressiert werden.

Als eine der wachstumsstärksten Online-Apotheken Kontinentaleuropas mit jahrzehntelanger Erfahrung in der Bereitstellung digitaler Gesundheitsservices haben wir sieben Impulse formuliert, deren Umsetzung zur flächendeckenden Etablierung entsprechender Services beitragen soll. Sie basieren auf internen Experteninterviews und einer im September 2021 durchgeführten KundInnen-Umfrage:

1. Digitale Gesundheitskompetenz stärken

Digitale Gesundheitsleistungen setzen nicht nur neue Standards, sie verändern auch über Jahrzehnte erlernte menschliche Gewohnheiten hinsichtlich der Navigation durch ein ohne schon sehr komplexes Gesundheitssystem. Die Vermittlung von Kompetenzen im Umgang mit digitalen und/oder telemedizinischen Anwendungen ist ein wesentlicher Schlüssel, um die PatientInnen bei den skizzierten Umstellungsprozessen bestmöglich zu unterstützen.

Auch in der Aus- und Weiterbildung der verschiedenen Gesundheitsprofessionen muss die Vermittlung digitaler Kompetenzen strukturell sichergestellt werden. Leistungserbringer sind neben den Kostenträgern die entscheidenden Multiplikatoren, um PatientInnen vom Mehrwert digitaler Lösungen in Diagnostik und Behandlung zu überzeugen und (unbegründete) Ängste und Sorgen argumentativ zu entkräften.  

2. Komplexitäten reduzieren

Die Akzeptanz und Geschwindigkeit der Einführung digitaler Anwendungen hängen in besonderem Maße von der Komplexität der anwendungsspezifischen Beantragung und Nutzung ab. Negativbeispiel: Für die Beantragung der ePA bedarf es zusätzlich zu einem Smartphone und einer elektronischen Gesundheitskarte eine PIN von der Krankenkasse, die proaktiv vom Versicherten beantragt werden muss. Entsprechende Verfahren müssen zukünftig – unter Beibehaltung aller notwendigen Maßnahmen zum Schutz der persönlichen Gesundheitsdaten – deutlich vereinfacht und niedrigschwelliger ausgestaltet werden.

3. Überzeugen und begeistern

Die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens ist auf die Akzeptanz der an ihr beteiligten Akteure angewiesen. Nur wenn eine überwiegende Mehrheit der Menschen hinter diesen Bestrebungen steht, können sich digitale Gesundheitsleistungen auch flächendeckend durchsetzen und ihren Beitrag zur Verbesserung der medizinischen Versorgung leisten. Vor diesem Hintergrund ist die Initiierung umfassender Informations- und Aufklärungskampagnen unverzichtbar – sie müssen den Mehrwert der Digitalisierung in den Mittelpunkt stellen und etablierten Bedenken argumentativ entgegentreten.

4. Systemische Brüche verhindern

Für eine optimale „Patient Journey“ ist es unerlässlich, fließende Übergänge zwischen den einzelnen Phasen vor, während und nach der ärztlichen Behandlung zu schaffen. Während strukturierte Gesundheitsinformationen im Netz gesucht, Arzttermine online vereinbart, Medikamente via Internet bestellt, E-Rezepte zeitnah digital eingelöst und mobile Apps zur Therapiebegleitung erstattet werden können, existiert weiterhin eine Mengenbegrenzung für Videosprechstunden. Ob Interessierte also telemedizinische Angebote nutzen können, hängt nach wie vor auch von finanziellen Budgetrestriktionen auf Seiten der Leistungserbringer ab. Im Zeitalter der Digitalisierung ist diese Form der regulatorischen Begrenzung völlig überholt – sie widerspricht dem Anspruch an ein modernes, umfassend vernetztes, digitales und niedrigschwelliges Gesundheitswesen.

5. Verlässlich planen

Für die zukünftige Weiterentwicklung des digitalen Gesundheitswesens ist Strategiefähigkeit ein entscheidender Faktor. Fristen müssen realistisch gesetzt, an der technischen Entwicklung und Machbarkeit orientiert sowie unter Einbeziehung aller an der Umsetzung beteiligten Akteure abgestimmt werden. Gleiches gilt für Pilotprojekte, die vor der Einführung digitaler Anwendung zur ausgiebigen Testung sinnvoll sind, aber nicht regelhaft, sondern nur in Ausnahmefällen kurzfristig verlängert oder verschoben werden sollten. Verlässlichkeit ist für die Akzeptanz der BürgerInnen ebenso wichtig wie für die Planungssicherheit der Leistungserbringer, Kostenträger und der gesundheitswirtschaftlichen Industrie.

6. E-Health-Evaluationsprogramm etablieren

Deutschland braucht eine gesamtsystemische „E-Health-Reifegradmessung“. Aufbauend auf ein Evaluationskonzept, das von einer politisch unabhängigen Institution unter Einbindung von VertreterInnen der PatientInnen, der maßgeblichen Leistungserbringer, der Kostenträger sowie der beteiligten Gesundheitswirtschaft zu erstellen ist, sollte quartalsweise eine umfassende Bewertung der aktuellen Entwicklungen vorgelegt werden, die vom BMG kommentiert wird.

7. Digitalisierung in den europäischen Kontext einbetten

Die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung in den Mitgliedsstaaten der EU schreitet unterschiedlich schnell voran – bis heute fehlt ein koordinierendes Konzept, wie digitale Gesundheitsleistungen grenzüberschreitend angeboten und genutzt werden können. Deutschland sollte deshalb neben dem Roll-Out einer eigenen E-Health-Strategie eine koordinierende Rolle auf EU-Ebene einnehmen und ein gemeinsames Vorgehen in diesem komplexen Umfeld vorantreiben. Die Etablierung einer flächendeckenden Interoperabilität in den 27 Mitgliedsstaaten ist dabei genauso wichtig wie die Definition eindeutiger internationaler Standards.

Die „fortgeschriebene Digitalisierungsstrategie“ der Ampel-Koalition sollte die Leitplanken für künftige E-Health-Vorhaben setzen und als partei- und akteursübergreifender Fahrplan für die kommenden Monate/Jahre dienen. Alle zukünftigen Maßnahmen müssen sich stets am größtmöglichen Nutzen für die Versicherten orientieren. Nur so kann es gelingen, eine digitale „Patient Journey“ umzusetzen, die die Prozesse der Gesundheitsversorgung integrierter, sicherer, einfacher und schneller gestaltet und damit eine gesamtgesellschaftliche Akzeptanz findet.